Archive for September 2013

Personal für die Provinz – Über den Fachkräftemangel im ländlichen Raum

September 24, 2013

Die Provinz gilt vielen als “hinterwäldlerisch”. Dabei spielt sich durchaus genug kulturelles und sonstiges Leben jenseits der Metropolen ab. Auch in der Wirtschaft hat der ländliche Raum durchaus seinen Reiz. Denn nicht nur in den großen Metropolen sind Weltmarktführer und “Hidden Champions” ansässig.

“Das manchmal abwertende Gerede über die Provinz oder provinzielle Strukturen kann ich nicht nachvollziehen”, sagt der Personalexperte Michael Zondler. “Fakt ist aber auch, dass die meisten Menschen in Dörfern oder Kleinstädten aufwachsen. Nachdem sie im Studium vielleicht das erste Mal Großstadtluft geschnuppert haben, zieht es sie danach in die großen Städte wie Berlin, Hamburg oder München. Das ist verständlich. Allerdings hat der ländliche Raum auch viele Vorteile. Meist findet man dort eine sehr gute Lebensqualität und funktionierende soziale Strukturen in der Nachbarschaft und in Vereinen. Auch der Traum vom eigenen Haus lässt sich im Sauerland wesentlich einfacher beziehungsweise kostengünstiger verwirklichen als in der bayerischen Landeshauptstadt. Wer in der Provinz lebt, ist überdies oft mit dem eigenen Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln nah dran an den Metropolregionen, um das dortige Kultur- und Freizeitprogramm zu genießen. Für eine Karriere in der Provinz spricht zudem, dass der Fachkräftemangel zum Beispiel in Südwestfalen oder im Bergischen Land noch stärker zutage treten wird als beispielsweise im Ruhrgebiet. Jungen Menschen eröffnen sich also gerade in der Provinz gute Berufs- und Karrierechancen.”

Zondlers Personalberatungsunternehmen centomo http://www.centomo.de ist nicht nur in London vertreten, sondern hat auch in Ludwigsburg und Sindelfingen Firmensitze. “Beide Städte sind ja auch nicht so furchtbar groß. Doch die Landeshauptstadt Stuttgart ist nur wenige Kilometer entfernt. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erleben somit tagtäglich das gute Gefühl, nicht in der Großstadt zu arbeiten, die Metropole aber sofort vor der Haustür zu haben”, erläutert Zondler.

Doch auch mit 50 Prozent Weltmarktanteil haben es Mittelständler nicht leicht, Mitarbeiter in die Provinz zu holen, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) http://www.faz.net schreibt. Als Beispiel dient die Edelstahl-Gruppe Schmidt + Clemens http://www.schmidt-clemens.de aus Lindlar in der Nähe von Gummersbach. “Wir kämpfen ständig an der Personalfront”, sagt der Geschäftsführende Gesellschafter Jan Schmidt-Krayer. Die Arbeitslosenquote im Oberbergischen liege deutlich unter der nordrhein-westfälischen Quote. “Und sagen Sie mal einem Kölner, er könne bei uns in Lindlar arbeiten. Der wird erst mal fragen, wo Lindlar überhaupt liegt”, so Schmidt-Krayer.

Um dennoch Personal in die Provinz zu holen, arbeitet das Familienunternehmen nicht nur am Betriebsklima. Den eigenen Führungskräften bietet Schmidt + Clemens einen “lukrativen variablen Gehaltsanteil”, der sich im Wesentlichen an den Ergebnissen des Unternehmens ausrichte. Zudem arbeitet man an der Sozialkompetenz des Managements und eröffnet im September eine Akademie als Dach für die Aus- und Weiterbildung. Dort sollen nicht nur die Einstellungstests, sondern auch die technischen und kaufmännischen Seminare, Sprachkurse und Führungstrainings für das Management stattfinden. “Die Provinz kämpft keinen aussichtslosen Kampf an der Fachkräftefront”, so Zondler. “Die dortigen Unternehmen müssen nur etwas kreativer und aktiver sein als Unternehmen in den Großstädten, um auf sich aufmerksam zu machen und gute Leute anzulocken”.

Sex, Schreiben, Schuldgefühle

September 16, 2013

Ich habe mich auf dieses Buch gefreut. Kaum ein anderes Buch hat mich dann so angeödet und gelangweilt. Die Rede ist von „Der Hilliker-Fluch“, den Lebenserinnerungen von James Ellroy, den Alf Mayer in seiner Kolumne „Blutige Ernte“ als einen „der ambitioniertesten zeitgenössischen Autoren der Kriminalliteratur“ geadelt hat.

Wer will schon rund 250 Seiten durch Ströme von Sperma waten? Wer interessiert sich für die immer gleichen Abfolgen von Beischlaf mit Prostituierten oder anderen Gespielinnen? Ellroys Memoiren sind von einer geradezu grandiosen Banalität. Dabei versteht der 1948 geborene Autor sich aufs Schreiben. Schließlich stammen Meisterwerke des Noir wie „Die Schwarze Dahlie“ oder „L. A. Confidential“ aus seiner Feder. Ellroy gibt in seinen größenwahnsinnigen (er vergleicht sich mit Beethoven) Lebenserinnerungen den harten Hund, der zum x-ten Mal den Sexualmord an seiner Mutter Jean Hilliker ausschlachtet.

„Ich war vom Hilliker-Fluch getrieben. Ich wollte die eine Frau oder in allen Frauen die Wahre und Eine finden. Der entsetzliche Preis von drohendem Wahnsinn oder Tod schreckte mich nicht“, schreibt Ellroy, der seine Leser mit seinen lustlos heruntergespulten Schilderungen von Onanie, Schuldgefühlen, Suff, Sexsucht und Rauschzuständen quält. Nach rund 100 Seiten habe ich es nicht mehr ertragen, wie hier jemand sein unzweifelhaftes Talent verschleudert für eine Art literarischer Leichenschändung.

Selbstentblößung auf die Spitze getrieben

Der Rezensent der Süddeutschen Zeitung stellte lapidar fest: „Jean Hilliker wäre heute knapp 100 Jahre alt. Der Mord an ihr wurde nie aufgeklärt. Möge sie endlich in Frieden ruhen.“ Diesem Wunsch kann man sich nur anschließen und darauf hoffen, daß sich Ellroy nicht noch ein weiteres Mal an dieser Thematik in solch geschmackloser und obsessiver Weise abarbeitet.

Ellroy hätte ein großes Buch über die Kunst des Krimischreibens vorlegen und dabei deutlich machen können, wie ihn die eigenen Dämonen dazu befähigt haben, ein ganz großer Vertreter seines Faches zu werden. Doch nicht jeder grandiose Romancier ist auch ein guter Biograph des eigenen Lebens. Georges Simenon hat es mit seinen peinlichen „Intimen Memoiren“ vorgemacht. James Ellroy hat die Kunst der Selbstentblößung nun noch einmal auf die Spitze getrieben. Lesen muß man das nicht. Zumindest ist das Retro-Cover des Buches über „Meine Suche nach der Frau“ nett anzuschauen. Am Ende weiß man nicht, ob man es „der Frau“ wirklich wünschen möchte, von einem solchen Ekel wie Ellroy gefunden zu werden.

James Ellroy: Der Hilliker-Fluch. Ullstein Verlag: Berlin 2012. 254 Seiten. 19,99 Euro.

Die Abkehr von „Europas Mustergesetz“ hat zu faulen Kompromissen geführt – Der neue Glücksspielstaatsvertrag muss dringend nachgebessert werden

September 4, 2013

Der neue Glücksspielstaatsvertrag ist unbrauchbar. Zu diesem Urteil kommt der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion in Hessen, Wolfgang Greilich http://www.fdp-fraktion-hessen.de. Seiner Meinung nach müssen die Länder den Staatsvertrag dringend nachverhandeln. „Während in Schleswig-Holstein ein von der FDP vorgelegter Gesetzentwurf von der europäischen Kommission notifiziert wurde, Gesetzeskraft erlangte und die ersten Konzessionen pünktlich zum Inkrafttreten vergeben wurden, haben die übrigen CDU- und SPD-regierten Länder auch hessische Vorstöße in der Ministerpräsidentenkonferenz ausgebremst“, so der liberale Politiker. Bei diesem Statement lässt Greilich allerdings unter den Tisch fallen, dass das vormalige schleswig-holsteinische Glücksspielgesetz, welches von Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) gekippt wurde, als Gemeinschaftsprojekt der christlich-liberalen Regierung in Kiel auf den Weg gebracht worden war.
Recht hat Greilich aber in einem anderen Punkt: Herausgekommen ist eine halbherzige Lösung, die auch von der Europäischen Kommission allenfalls als Zwischenschritt für eine kurze Frist bis zur vollständigen Öffnung des Glücksspielmarktes hingenommen wurde. „Jetzt zeigt sich, dass der faule Kompromiss mehr Probleme schafft als löst. Denn logischerweise führt die nur begrenzte Öffnung des Marktes jetzt zu Klagen von Mitbewerbern, die jeden tatsächlichen Fortschritt blockieren.“
Dabei war dieser Irrweg absehbar, wie ein Blick in die Niederschrift des Innen- und Rechtsausschusses sowie des Finanzausschusses im Schleswig-Holsteinischen Landtag vom 31. Oktober 2012 zeigt http://www.landtag.ltsh.de/export/sites/landtagsh/infothek/wahl18/aussch/iur/niederschrift/2012/18-011_10-12.pdf. In besagter Sitzung sagte Dr. Martin Nolte, Professor für Sportrecht am Institut für Sportökonomie und Sportmanagement der Deutschen Sporthochschule in Köln, dass wichtige Ziele mit dem vorliegenden Staatsvertragsentwurf nicht erreicht würden. Die entscheidenden Ziele seien die Kanalisierung des Spieltriebs in geordnete Bahnen, die Bekämpfung von Kriminalität und Sucht, der Jugendschutz sowie die Integrität des sportlichen Wettbewerbs.
Die rechtliche Situation bleibt verworren. Deutschland ist in Sachen Glücksspiel-Staatsvertrag ein geteiltes Land. In Schleswig-Holstein war im März 2012 ein Glücksspielgesetz in Kraft getreten, am 1. Juli des vergangenen Jahres hatten die anderen 15 Bundesländer einen neuen Glücksspiel-Staatsvertrag verabschiedet. Nach dem Regierungswechsel in Schleswig-Holstein im August 2012 ist die neue rot-grüne Regierung dem Vertrag der 15 beigetreten. Dies macht die Sache nur komplizierter, denn die bis dahin an die Glücksspielunternehmen vergebenen Konzessionen bleiben bestehen. Dies führt zu „zweierlei Recht“, so Heinz Peter Kreuzer im Deutschlandfunk.
„Wenn die Server in Schleswig-Holstein stehen, dann fließen Einnahmen aus Online-Spielen auch nach Schleswig-Holstein. Daran wird sich, anders als Herr Stegner immer behauptet, auch nach 2015 nichts ändern“, so der schleswig-holsteinische Glücksspielexperte Hans-Jörn Arp (CDU), einer der geistigen Väter des Kieler Regulierungsmodells unter Schwarz-Gelb. Ralf Stegner (der schleswig-holsteinische SPD-Fraktions- und Parteivorsitzende) tue „nach wie vor alles dafür(…), dass der Internetschwarzmarkt floriere. „Bei richtiger Anwendung sorgt das schleswig-holsteinische Glücksspielgesetz auch nach 2015 für mehr Geld in der Landeskasse“, meint Arp.
Arp und Kubicki schufen das „Danish Modell 2.0“
Ein Blick auf die gesetzlichen Regelungen der Nachbarländer Dänemark und Niederlande wäre von Anfang an hilfreich gewesen, sagte Dr. Wulf Hambach von Hambach & Hambach Rechtsanwälte http://www.timelaw.de bei der Anhörung im Landtag im Oktober 2012. Morten Ronde, der Vater des dänischen Glücksspielgesetzes, habe gesagt, dass er das schleswig-holsteinische Glücksspielgesetz, das vor allem auf den CDU-Politiker Arp und den FPD-Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Kubicki zurückgeht, als „Danish Modell 2.0“ ansehe, weil es gerade auf der Vollstreckungsseite Konditionen beinhalte, die eine noch bessere Kontrolle als nach dem dänischen Gesetz zuließe.
Wenn Schleswig-Holstein dem Glücksspielgesetz beitrete, erwarte er, dass das Gleiche wie in Frankreich passieren werde. „Dort haben in den letzten Jahren 70.000 Spieler den regulierten Markt verlassen und spielen jetzt auf dem Schwarzmarkt“, so Hambachs Warnung. Dies liege an den exorbitant hohen Steuern, die für Spiele auf den zugelassenen Internetseiten bezahlt werden müssten. In Dänemark dagegen bestehe nach Einführung eines neuen Glücksspielgesetzes eine fast komplette Abdeckung durch zugelassene Onlineglücksspielanbieter. 95 Prozent des Onlinepoker-Bereichs seien dort jetzt reguliert.
Auch Rechtsanwalt Wolfram Kessler vom Verband Europäischer Wettunternehmer wies in der Anhörung darauf hin, „dass das derzeitige Gesetz in Schleswig-Holstein beispielhaft sei“. Es werde europaweit als Mustergesetz angesehen. Laut Kessler werde mit einem Beitritt Schleswig-Holsteins zum Staatsvertrag, der unter der „Dänen-Ampel“ bekanntlich erfolgte, der „Grundstein für eine Internetzensur“ gelegt.
Das dauernde Gerede über einen so genannten „Alleingang“ oder „Sonderweg“ Schleswig-Holsteins hatte Wirkung entfaltet. Letztlich hat die Regierung Albig sich dadurch dem Irrweg der anderen 15 Länder angeschlossen. Es wäre ein Ausweis politischer Klugheit und politischen Mutes gewesen, wenn Albig, Stegner und Co. dafür gekämpft hätten, dass sich die anderen Länder dem Erfolgsmodell aus Kiel anschließen.
Wolfgang Kubicki ist nach wie vor der Überzeugung, dass die Illegalität des Glücksspiels mit einem staatlichen Angebotsmonopol oder einer Marktmacht nicht verhindert werden kann. Eine restriktive Lizenzierung in Kombination mit der Offenheit für die Anbieter sei der bessere Weg. Wann wird der Groschen bei den anderen Politikern fallen? Denn sie haben alle einen Eid darauf geschworen, die Interessen ihrer Bürgerinnen und Bürger und ihrer jeweiligen Bundesländer nach bestem Wissen und Gewissen zu mehren. Hierzu gehört auch, alles dafür zu tun, dass die Steuereinnahmen steigen, Arbeitsplätze geschaffen und Grau- und Schwarzmärkte so gut wie möglich bekämpft werden. Das „Danish Modell 2.0“ wäre hierfür der richtige Ansatz gewesen.