Archive for the ‘Krimis’ Category

Killer und Kunstsammler – Trevanians „Im Auftrag des Drachen“ von 1972 ist ein Meisterwerk des Thrillergenres

Juni 17, 2014

Mord und Totschlag faszinieren die Leser. Es ist schwer, aus dem riesigen Angebot an neuen Krimis und Thrillern einen Band herauszufischen, der Qualität hat, unterhält und spannend ist. „Im Auftrag des Drachens“ aus der Feder des geheimnisumwitterten Trevanian ist eine absolute Leseempfehlung. Das Buch erschien zuerst 1972 unter dem Titel „The Eiger Sanction“. Nun liegt die vollständige deutsche Erstausgabe bei Heyne vor.

Jonathan Hemlock ist der amoralische Held des Romans; ein anerkannter Kunsthistoriker, der in einer alten Kirche lebt und gegen Geld als Mitarbeiter einer Spezialabteilung des amerikanischen Geheimdienstes Agenten der Gegenseite tötet. Hemlock befindet sich in keinem Rache- oder Blutrausch. Er mordet kalt und mit nur einem Ziel – die eigene Gemäldesammlung muss finanziert werden.

Hemlock kämpft für keine politische Weltanschauung oder ein System. Er ist schlicht ein Mörder. Eine Trennung in Gut und Böse nimmt er nicht vor. „Er interessierte sich nur für die Kunst, und Dinge wie Politik, studentische Freiheit, der Feldzug gegen die Armut, die hoffnungslose Lage der Entwicklungsländer, der Krieg in Vietnam und die Ökologie waren ihm vollkommen gleichgültig, ja, sie langweilten ihn geradezu.“

Der smarte Protagonist, neben seiner eigentlichen Profession auch noch ein begnadeter Bergsteiger ist, hat überdies einen Frauenverschleiß, der James Bond wie einen Betbruder aussehen lässt. Doch er braucht den Sex nur, um sich wieder auf die wichtigen Dinge des Lebens – also vor allem seine Gemäldesammlung – zu konzentrieren. Der Beischlaf mit seinen schönen Gespielinnen verschafft ihm vorübergehende Erleichterung: „wie ein Gang auf die Toilette“.

Trevanian hat mit diesem Werk einen glänzenden Spionageroman geschrieben, der zugleich eine intelligente Parodie des Genres darstellt. Hin und wieder blitzt die konservative Kulturkritik des Autors auf, etwa wenn er die Bauweise moderner Kirchen karikiert: „Die meisten Gemeinde auf Long Island gaben ihre traditionellen Kirchen zugunsten von Holzbaracken in Fertigbauweise auf, die für ihren Umgang mit Gott offenbar besser geeignet zu sein schienen.“

Hemlock muss wider Willen zu einem letzten Auftrag ausrücken, weil ihn der „gute“ amerikanische Geheimdienst erpresst. Er muss immer dann in Aktion treten, wenn ein Agent der eigenen Seite vom „Gegner“ liquidiert wurde. Dann tötet Hemlock im Auftrag des Drachen. Sein letzter Auftrag ist deshalb so schwierig, weil der Feindagent, der eliminiert werden soll, unbekannt ist. Er nimmt – so viel weiß man – an einer Besteigung der mörderischen Eiger-Nordwand teil, der sich Hemlock anschließt. In einer Extremsituation muss sich Hemlock den Themen Freundschaft und Verrat stellen und muss am Ende ein bitteres persönliches Fazit ziehen.

Auch als Autor ist Trevanian faszinierend. Jahrelang wurde über seine wahre Identität spekuliert. Erst spät kam heraus, dass sich unter dem Pseudonym der 2005 gestorbene Filmprofessor Dr. Rodney William Whitaker verbarg. Der Autor, der in verschiedenen Sujets neben dem Thriller brillierte, ging nicht auf Lesereise, beantwortete keine Fanpost und gab selten Interviews. Nicht nur von seiner Intelligenz und seinem Stil, auch von seiner Kunst der Zurückhaltung könnten sich zum Beispiel deutsche Möchtegern-Thrillerautoren wie Frank Schätzing eine Scheibe abschneiden.

Trevanian: Im Auftrag des Drachens. Wilhelm Heyne Verlag: München 2014. 400 Seiten. 9,99 Euro. ISBN 978-3-453-43770-8.

Sex, Schreiben, Schuldgefühle

September 16, 2013

Ich habe mich auf dieses Buch gefreut. Kaum ein anderes Buch hat mich dann so angeödet und gelangweilt. Die Rede ist von „Der Hilliker-Fluch“, den Lebenserinnerungen von James Ellroy, den Alf Mayer in seiner Kolumne „Blutige Ernte“ als einen „der ambitioniertesten zeitgenössischen Autoren der Kriminalliteratur“ geadelt hat.

Wer will schon rund 250 Seiten durch Ströme von Sperma waten? Wer interessiert sich für die immer gleichen Abfolgen von Beischlaf mit Prostituierten oder anderen Gespielinnen? Ellroys Memoiren sind von einer geradezu grandiosen Banalität. Dabei versteht der 1948 geborene Autor sich aufs Schreiben. Schließlich stammen Meisterwerke des Noir wie „Die Schwarze Dahlie“ oder „L. A. Confidential“ aus seiner Feder. Ellroy gibt in seinen größenwahnsinnigen (er vergleicht sich mit Beethoven) Lebenserinnerungen den harten Hund, der zum x-ten Mal den Sexualmord an seiner Mutter Jean Hilliker ausschlachtet.

„Ich war vom Hilliker-Fluch getrieben. Ich wollte die eine Frau oder in allen Frauen die Wahre und Eine finden. Der entsetzliche Preis von drohendem Wahnsinn oder Tod schreckte mich nicht“, schreibt Ellroy, der seine Leser mit seinen lustlos heruntergespulten Schilderungen von Onanie, Schuldgefühlen, Suff, Sexsucht und Rauschzuständen quält. Nach rund 100 Seiten habe ich es nicht mehr ertragen, wie hier jemand sein unzweifelhaftes Talent verschleudert für eine Art literarischer Leichenschändung.

Selbstentblößung auf die Spitze getrieben

Der Rezensent der Süddeutschen Zeitung stellte lapidar fest: „Jean Hilliker wäre heute knapp 100 Jahre alt. Der Mord an ihr wurde nie aufgeklärt. Möge sie endlich in Frieden ruhen.“ Diesem Wunsch kann man sich nur anschließen und darauf hoffen, daß sich Ellroy nicht noch ein weiteres Mal an dieser Thematik in solch geschmackloser und obsessiver Weise abarbeitet.

Ellroy hätte ein großes Buch über die Kunst des Krimischreibens vorlegen und dabei deutlich machen können, wie ihn die eigenen Dämonen dazu befähigt haben, ein ganz großer Vertreter seines Faches zu werden. Doch nicht jeder grandiose Romancier ist auch ein guter Biograph des eigenen Lebens. Georges Simenon hat es mit seinen peinlichen „Intimen Memoiren“ vorgemacht. James Ellroy hat die Kunst der Selbstentblößung nun noch einmal auf die Spitze getrieben. Lesen muß man das nicht. Zumindest ist das Retro-Cover des Buches über „Meine Suche nach der Frau“ nett anzuschauen. Am Ende weiß man nicht, ob man es „der Frau“ wirklich wünschen möchte, von einem solchen Ekel wie Ellroy gefunden zu werden.

James Ellroy: Der Hilliker-Fluch. Ullstein Verlag: Berlin 2012. 254 Seiten. 19,99 Euro.

Sex, Schreiben, Schuldgefühle – James Ellroy scheitert an seinen Memoiren

August 20, 2013

Ich habe mich auf dieses Buch gefreut. Kaum ein anderes Buch hat mich so angeödet und gelangweilt. Die Rede ist von „Der Hilliker-Fluch“, den Lebenserinnerungen von James Ellroy, den Alf Mayer in seiner Kolumne „Blutige Ernte“ als einen „der ambitioniertesten zeitgenössischen Autoren der Kriminalliteratur“ geadelt hat.

Wer will schon rund 250 Seiten durch Ströme von Sperma waten? Wer interessiert sich für die immer gleichen Abfolgen von Beischlaf mit Prostituierten oder anderen Gespielinnen? Ellroys Memoiren sind von einer geradezu grandiosen Banalität. Dabei versteht der 1948 geborene Autor sich aufs Schreiben. Schließlich stammen Meisterwerke des Noir wie „Die Schwarze Dahlie“ oder „L.A. Confidential“ aus seiner Feder. Ellroy gibt in seinen größenwahnsinnigen (er vergleicht sich mit Beethoven) Lebenserinnerungen den harten Hund, der zum x-ten Mal den Sexualmord an seiner Mutter Jean Hilliker ausschlachtet.

„Ich war vom Hilliker-Fluch getrieben. Ich wollte die eine Frau oder in allen Frauen die Wahre und Eine finden. Der entsetzliche Preis von drohendem Wahnsinn oder Tod schreckte mich nicht“, schreibt Ellroy, der seine Leser mit seinen lustlos heruntergespulten Schilderungen von Onanie, Schuldgefühlen, Suff, Sexsucht und Rauschzuständen quält. Nach rund 100 Seiten habe ich es nicht mehr ertragen, wie hier jemand sein unzweifelhaftes Talent verschleudert für eine Art literarischer Leichenschändung. Der Rezensent der Süddeutschen Zeitung hat lapidar festgestellt: „Jean Hilliker wäre heute knapp 100 Jahre alt. Der Mord an ihr wurde nie aufgeklärt. Möge sie endlich in Frieden ruhen.“ Diesem Wunsch kann man sich nur anschließen und darauf hoffen, dass sich Ellroy nicht noch ein weiteres Mal an dieser Thematik in solch geschmackloser und obsessiver Weise abarbeitet.

Ellroy hätte ein großes Buch über die Kunst des Krimischreibens vorlegen und dabei deutlich machen können, wie ihn die eigenen Dämonen dazu befähigt haben, ein ganz großer Vertreter seines Faches zu werden. Doch nicht jeder grandiose Romancier ist auch ein guter Biograph des eigenen Lebens. Georges Simenon hat es mit seinen peinlichen „Intimen Memoiren“ vorgemacht. James Ellroy hat die Kunst der Selbstentblößung nun noch einmal auf die Spitze getrieben. Lesen muss man das nicht. Zumindest ist das Retro-Cover des Buches über „Meine Suche nach der Frau“ nett anzuschauen. Am Ende weiß man nicht, ob man es „der Frau“ wirklich wünschen möchte, von einem solchen Ekel wie Ellroy gefunden zu werden.

James Ellroy: Der Hilliker-Fluch. Ullstein Verlag: Berlin 2012. 254 Seiten. 19,99 Euro.

Ein harter Junge, hoffnungslos sentimental – Zum 125. Geburtstag des amerikanischen Schriftstellers Raymond Chandler

Juli 23, 2013

Raymond Chandler ist einer der größten US-Autoren des 20. Jahrhunderts. Sein literarisches Geschöpf, der Privatdetektiv Philip Marlowe, ist ein harter Junge: trinkfest, viril, ein Frauentyp. Doch er ist auch Melancholiker und Moralist. Sein geistiger Vater, der am 23. Juli 1888 in Chicago, Illinois, geboren wurde, war ebenfalls melancholisch und moralisch, wenn nicht sogar puritanisch geprägt. Doch er war auch ganz anders als Marlowe, nämlich scheu, gehemmt, unglücklich. Es ist müßig, den alten Streit über E- und U-Literatur erneut auszufechten. Chandler war ein Kriminalschriftsteller, doch letztlich auch ein verdammt guter Romancier.

Nicht ohne Grund hat der ostdeutsche Autor Clemens Meyer Chandlers 1953 erschienenen Roman „Der lange Abschied“ als das Buch seines Lebens bezeichnet. Marlowe sei ihm in vielen Jahren ein Vorbild gewesen: „Whiskey trinkend, Schach spielend, der letzte Romantiker, der in der Liebe und im Leben immer wieder enttäuscht wird, aber nie aufgibt“.

Am Ende seines Lebens, nachdem seine geliebte, wesentlich ältere Frau Cissy gestorben war, hat er versucht, sich zu Tode zu schießen und zu saufen. Als er am 26. März 1959 im kalifornischen La Jolla starb, starb einer der wichtigsten Begründer der amerikanischen hardboiled novels. Dashiell Hammett und Raymond Chandler wurden fortan viel kopiert, doch fast nie erreicht.

Chandlers Leben war voller Brüche und verlief nicht linear. Personalberater und Firmenchefs würden seinen Lebenslauf heute wohl sofort zur Seite legen. Zum Schriftsteller wurde er aus purer Not, um sich und seine Frau finanziell über Wasser zu halten. Als er seine lukrative Stelle als Manager in der Ölindustrie verlor, sattelte er um. Zunächst schrieb er Kriminalgeschichten für Groschenhefte, so genannte pulps. So lernte er das literarische Handwerk. Die Basis für seine großen Romane „Der tiefe Schlaf“, „Lebewohl, mein Liebling“ oder sein unübertroffenes Meisterwerk „Der lange Abschied“ war gelegt. Seine frühren Geschichten sollte Chandler später immer wieder für seine Romane ausschlachten.

Marlowe hat das Zeug zum Sieger, doch wegen seiner moralischen Grundsätze passt er sich nicht an und steigt gesellschaftlich nicht auf. Er bleibt ein Einzelgänger, ein Verlierer, der immer wieder aufsteht und dem deshalb nicht nur die Herzen der Frauen, meist langbeinige Blondinen, zufliegen, sonder auch die Herzen der Leser. In Chandlers Fantasie sah Marlowe aus wie Cary Grant. Doch im Film sollten Humphrey Bogart, James Garner, Robert Mitchum und Elliot Gould dem private eye ihr Gesicht geben.

Mag sein, dass es uns heute bei der Lektüre Chandlers so geht wie beim Lesen der Prosa Ernest Hemingways. Das Pathos, die (übertriebene) Männlichkeit, die Romantik: das wirkt aus heutiger Sicht alles etwas übertrieben. Doch angesichts der Ödnis der immergleichen „Schwedenkrimis“ sollten wir den letzten Romantiker unter den harten Jungs in Ehren halten. Welch Glück für den, der noch nichts von Chandler gelesen hat. Bei Diogenes steht ihm eine famose Werkauswahl zur Verfügung. Außerdem war Chandler ein großer Briefschreiber und hat mit „Die simple Kunst des Mordes“ eines der schönsten Bücher über das Schreiben verfasst.

Wer mehr über das äußerlich unspektakuläre, aber an inneren Kämpfen reiche Leben des treu verheirateten, Pfeife rauchenden Katzenliebhabers und Trägers von Tweed Sakkos erfahren will, sollte zu Frank MacShanes Biographie des Meisters greifen. Wie schön, dass sich Chandler nie um „irgendeinen Kokolores von ‚gesellschaftlicher Signifikanz’“ gekümmert hat. Aus diesem Grund – und natürlich wegen dieser wunderbaren, bildhaften, witzigen und zugleich literarischen Sprache – sind seine Bücher zeitlos. Wir streifen weiterhin gern Seit’ an Seit’ mit Marlowe durch die Straßen, Spelunken und Spielhöllen im Los Angeles der 30er Jahre.

Von der literarischen Tradition Europas herkommend, war Chandler ein „Prophet des modernen Amerika“, so sein Biograph MacShane, der sein zerquältes und einsames Leben beschrieben hat. Er hat Kunst geschaffen, die das Grab überdauert hat.

Mörderisches Versteckspiel

Juni 4, 2013

Stephen King hat über Jack Ketchums Roman „Evil“ gesagt, dieses Buch verheiße „den Schrecken nicht nur, sondern löst sein Versprechen auch ein“. Ähnliches lässt sich auch über sein Werk „Versteckt“ http://www.randomhouse.de/Taschenbuch/Versteckt-Roman/Jack-Ketchum/e380994.rhd sagen.

Dabei fängt alles ganz idyllisch an. Daniel lebt in einem verschlafenen Provinzkaff namens Dead River. Hier liegt der sprichwörtliche Hund begraben. Wir befinden uns in den 1980er Jahren, der Zeit bonbonfarbener amerikanischer Fernsehserien wie „Miami Vice“, „Dallas“ „oder „Denver Clan“.

Steven, Kimberley und Casey sind drei reiche Gören aus der Stadt, die ihren Urlaub in Dead River verbringen müssen, weil ihre Eltern es so wünschen. Es könnte der perfekte Sommer werden, als sich Daniel in die schöne Casey verliebt. Stoff für eine der typischen Teeniekomödien der 80er, in grellbunten Farben verfilmt.

Doch nach und nach verändert sich diese kleine Welt. Die Clique sucht immer wieder einen neuen Adrenalinkick, angetrieben von Casey. Daniel wird mitgezogen, mehr aus Liebe zur Angebeteten denn aus Lust am Abenteuer. Die beiden Mädels und die beiden Jungs baden nackt (ein kleiner Angriff auf das prüde Amerika), stehlen im Supermarkt, machen eine Spritztour mit einem geklauten Auto. Casey bringt Daniel dazu, dass er mit ihr an öffentlichen Orten – sogar auf einem Friedhof – schläft. Die Spiele der Beiden werden immer extremer.

Als die Viererbande Verstecken in einem alten „Spukhaus“ auf den Klippen spielt, nimmt das Grauen seinen Lauf – unerbittlich, meisterhaft von Ketchum in Szene gesetzt.

Douglas E. Winter hat festgestellt, Ketchum treibe „ein wesentliches Element des amerikanischen Schauerromans auf die Spitze. Er vernichtet das Trugbild des gesellschaftlichen Zusammenhalts, die Fassade der Ordnung, die wir dem Chaos der Natur und somit auch dem Animalischen in uns überstülpen wollen“.

Auch in dem „Spukhaus“, das einst von einem geistig zurückgebliebenen Geschwisterpaar und ihrer Hundemeute bewohnt wurde, bricht das Grauen ein. Die Fassade des perfekten Sommers reißt abrupt. Die vier jungen Leute werden über Nacht erwachsen, übernehmen Verantwortung füreinander. Ob sie ihr Versteckspiel überleben?

Jack Ketchum: Versteckt. Wilhelm Heyne Verlag: München 2013. 243 S. 8,99 Euro. ISBN 978 – 3 – 453 – 67616 – 9.

Nichts wird besser, es wird bestenfalls anders. Über James Sallis’ Romandebüt „Stiller Zorn“

Mai 31, 2013

James Sallis ist in Deutschland keine ganz unbekannte Krimi-Größe mehr. Sein Roman „Driver“ wurde 2011 mit Ryan Gosling in der Hauptrolle verfilmt. Der 1944 in Arkansas geborene Autor hat Puschkin ins Englische übersetzt und lehrt Kreatives Schreiben am Phoenix College. Der DUMont-Buchverlag hat nun sein Romandebüt „Stiller Zorn“ nun wieder herausgebracht http://www.dumont-buchverlag.de/buch/James_Sallis_Stiller_Zorn/12227, welches bereits 1999 unter dem Titel „Die langbeinige Fliege“ erschienen ist.

Matthias Heine hat in seiner insgesamt positiven Rezension für „Die Welt“ angemerkt, Sallis – dem Meister der lakonischen Sprache – seien in seinem Erstling noch „ein paar typische Hardboiled-Klischees“ unterlaufen. Mich stören diese Klischees nicht. Im Gegenteil: Sie erzeugen ein Gefühl der Geborgenheit. Man betritt eine vertraute noir-Welt. Das Buch spielt in den Jahren 1964, 1970, 1984 und 1990. Der Reiz liegt darin, dass man den Protagonisten, den schwarzen Privatdetektiv Lew Griffin, in verschiedenen Phasen seines Lebens kennen lernt. Dadurch wird die Figur, die einem sofort sympathisch ist, komplexer.

Zu Beginn passiert der Detektiv mit literarischer Bildung seine Büro-Glastür mit der Aufschrift „Lewis Griffin, Ermittlungen“. Wie bei Chandlers Philip Marlowe ist das Konto des Schnüfflers nicht gerade üppig gefüllt, Postwurfsendungen liegen im Büro herum, der Bourbon steht griffbereit. Wie Marlowe raucht Griffin Pfeife, was heute nicht nur als gesundheitsschädlich, sondern als uncool gilt.

Dabei ist Griffin ein cooler Typ, ein einsamer Wolf, zu keinen dauerhaften Beziehungen in der Lage, ein harter Hund und echter Kerl, romantisch und belesen. Hin und wieder schläft er mit der Prostituierten LaVerne, nicht als Kunde, sondern als Freund – „zwei einsame Menschen, die beisammen waren, solange es eben ging“.

Die Handlung beziehungsweise die verschiedenen Handlungsstränge spielen in New Orleans, einem Moloch, geprägt von roher Gewalt, sinnloser Brutalität und Hoffnungslosigkeit. Seine Weltsicht äußert Griffin in einem knappen Satz: „Nichts wird besser, Don. Es wird bestenfalls anders.“ Wie Marlowe könnte auch sein schwarzer Bruder Griffin mehr aus seinem Leben machen. Doch es fehlt ihm an persönlichem Ehrgeiz, an Antrieb. Das wurde ihm schon in der Schule attestiert. Trotzdem kriegt der private Ermittler die schärfsten Bräute ab, doch zu einer echten und dauerhaften Beziehung ist er nicht in der Lage.

Manche Passagen des Buches sind von wunderschöner Traurigkeit, etwa, wenn Sallis den Selbstmord des Literaturprofessors seines Protagonisten beschreibt. „In unserem Leben muss stets ein Licht leuchten“, war dessen Maxime: „Sein Lebenslicht erlosch in dem Jahr, in dem ich bei ihm mit dem Literaturstudium anfing. Mitten im zweiten Semester kam er zwei Tage hintereinander nicht zu den Vorlesungen. Man fand ihn am Boden seines Badezimmers. Er hatte sich an einem Haken über der Badewanne erhängt, und obwohl der Haken aus der verrotteten Rigipsdecke gerissen war, hatte er sich bereits den Kehlkopf zerquetscht und außerdem beim Sturz auf den Wannenrand das Rückgrat gebrochen, so dass er kurz darauf zuckend und zappelnd inmitten der rausgebrochenen Gipsbrocken gestorben war.“

Es gibt wenig Hoffnung in diesem kurzen Buch. Griffin ist auf der Suche nach verschiedenen vermissten Personen, zuletzt nach seinem Sohn, den er lange nicht mehr gesehen hatte. Doch letztlich ist er auf der Suche nach sich selbst, nach dem Sinn des Lebens. Er wird ihn nicht finden, immer wieder scheitern und immer wieder aufstehen.

Das Einzige, was gegen Reue und Katzenjammer in der Nacht hilft, sind ein paar harte Drinks und der Morgen. Griffin weiß, er wird in seinem Leben nie etwas Festes finden – weder im Privaten noch im Beruflichen. Trotzdem bleibt er seiner geliebt-gehassten Heimatstadt treu und lehnt es ab, mit seiner Freundin Vicky, einer Krankenschwester, die ihn zwischenzeitlich wieder aufgepäppelt hat, nach London zu ziehen.

Nach Sallis’ Sound und seiner Spürnase Griffin kann man süchtig werden. Hoffentlich legt der DUMont-Verlag recht bald auch die anderen fünf Bände der Griffin-Reihe in deutscher Übersetzung vor. Wir warten gespannt.

James Sallis: Stiller Zorn. DuMont-Buchverlag: Köln 2013. 189 Seiten. 8,99 Euro. ISBN 9 – 783832 – 162351.

Das Glück liegt im guten Gewissen

Mai 10, 2013

Wer Krimis ausschließlich zur Entspannung und Unterhaltung liest, sei gewarnt. Für diesen Leserkreis ist „Untat“ http://www.conte-verlag.de/conte-krimi/rohm-untat von Guido Rohm nicht die richtige Lektüre. Der nur knapp 130 Seiten lange Roman lässt einen verstört zurück. Auch am Ende bleiben noch einige Fragen offen, nicht jedes Rätsel wird gelöst.

Versuchen Sie mal in einer x-beliebigen Buchhandlung, einen Krimi mit nur so wenigen Seiten zu finden. Früher war dies leicht möglich. Doch heute tuns die Stars und die Sternchen der Zunft nicht unter 500 Seiten. Kein Wunder, dass die Prosa dann oft eine Menge Fett auf den Hüften hat. Bei Rohm ist dies nicht der Fall. Die Sätze sind kurz, das Geschehen übersichtlich, sechs Tage geben als Kapitel den äußeren Rahmen, es wimmelt nicht von zig Nebenfiguren und –geschichten.

Warum auch? Ein David Goodis oder ein Jim Thompson haben schließlich auch keine dicken Schinken abgeliefert. Trotzdem hat es das neue Buch aus der Feder Rohms http://guidorohm.wordpress.com/, der nach eigener Aussage in Fulda raucht und schreibt, in sich. Worum geht es? Zwei Journalisten, aus deren Perspektive der Roman erzählt ist und die wie siamesische Zwillinge auftreten, bezahlen den schon äußerlich ziemlich widerlichen Berufsverbrecher Oscar dafür, dass sie „live“ bei einer Kindesentführung dabei sein dürfen.

Zunächst sind die Rollen noch klar verteilt. Hier der schmierige Oscar, „eine Mischung aus Peter Lorre und Edward G. Robinson“. Dort die beiden Presseleute, natürlich der Wahrheit verpflichtet und distinguiert. Doch ganz schnell verwischen sich die Konturen. Oscar, der in einer Junggesellenbude voller Bier, Porno- und Gewaltfilme haust, ist der Boss. Die beiden Journalisten folgen ihm leichtgläubig und verlieren sich in seiner Welt. Anfangs stellen sie nur ihre Ernährung auf Oscars Rezeptur (Bier und Chips) um, doch schon bald übernehmen sie auch andere unangenehme Charakterzüge. Sie verwahrlosen körperlich und geistig, dröhnen sich mit Pornos, Alkohol und Zigaretten zu.

An einer Stelle heißt es: „Wir erspielen ein Unentschieden. Wie so oft schon. Wir gleichen uns einfach zu sehr. Unsere Ähnlichkeit in Aussehen und Charakter macht uns zu austauschbaren Personen“. Gemeint sind die beiden Schreiberlinge, doch am Ende ist nicht mehr klar, wer Beobachter und wer Verbrecher ist.

Gibt es den Verbrecher Oscar wirklich? Welche Schuld tragen die beiden Journalisten an der brutalen Entführung des Kindes? Was passiert mit dem Opfer im Keller des Hauses?

Den beiden Medienmännern gelingt die Abgrenzung zum vermeintlichen Täter Oscar immer weniger, fadenscheinig berufen sie sich darauf, bei dessen Verbrechen nur stillschweigende Beobachter zu sein.

An dieser Stelle soll nicht zu viel verraten sein. Doch Sie ahnen wahrscheinlich schon: Diese Geschichte geht nicht gut aus. Auch nicht für den Leser, den bei zunehmender Lektüre, quasi Seite für Seite, ein Gefühl der Beklommenheit und des Unwohlseins beschleicht. Das Glück liegt im guten Gewissen. Hier werden weder handelnde Personen noch Leser glücklich, denn jeder Mensch ertappt sich dabei, schlimme Dinge nur „stillschweigend zu beobachten“, aber mit Sicherheit nicht zu goutieren. Der Schritt zum Voyeurismus ist dann oft nicht weit.

Rohm hat einen sehr guten Krimi geschrieben, der verwirrt und verstört und aus dem sonstigen Einerlei herausragt. Zugreifen, lesen!

Guido Rohm: Untat. Conte Verlag: St. Ingbert 2013. 134 Seiten. ISBN 978-3-941657-78-6. 10,90 Euro.

Kein „Todesporno für die Playstation-Generation“, sondern guter alter Noir – Dave Zeltsermans „Paria“ erscheint bei Pulp Master

April 15, 2013

Ein Plagiat ist schlimmer als Mord und die folgenschwere Entführung eines kleinen Kindes. Auf diese zynische Formel lässt sich Dave Zeltsermans wuchtiger Kriminalroman „Paria“ http://www.pulpmaster.de/z/34.shtml bringen. Dass der schwere Junge Kyle Nevin einige Passagen aus Dashiell Hammetts Meisterwerk „Rote Ernte“ http://www.diogenes.de/leser/katalog/nach_autoren/a-z/h/9783257240733/buch kopiert hat, gilbt in unserer teilweise perversen Mediengesellschaft als ein bösartigeres Verbrechen als Mord und Totschlag.

Der Autor Dave Zeltserman wurde 1959 in Boston geboren und hat dort einige Jahre als Software-Entwickler gearbeitet. Mittlerweile schreibt er hard-boiled novels und übt sich in Kampfsportarten. In seinem Vorwort macht der Bestseller-Autor Roger Smith („Kap der Finsternis“ u. a.) deutlich, was den Rang Zeltsermans ausmacht. Dieser schreibe keine „Todespornos für die Playstation-Generation“, sondern halte der amerikanischen Gesellschaft einen dunklen Spiegel vor.

Kyle Nevin, aus dessen kranker Perspektive dieser Roman ohne Schnickschnack kraftvoll und unverfälscht erzählt wird, ist ein ziemlicher übler Bursche, getrieben von der Gier nach Gewalt, Geld, Rache, Alkohol und Sex (für den er manchmal allerdings Koks oder blaue Pillen braucht).

Er war einst Teil einer irischen Gangsterbande in South Boston. Doch dann wurde er vom Hauptboss Red Mahoney verraten und wanderte für acht Jahre in den Knast. Als er aus der Haft entlassen wird, sind nicht nur die Benzinpreise drastisch gestiegen, auch sonst hat sich die Welt verändert. Sein ehedem ebenfalls wenig zaghafter Bruder Danny, bei dem Kyle unterkommt, hat sich zu einem Weichei mit Honda Civic statt BMW gemausert, der malochen geht und mit einer flachbrüstigen Vegetarierin zusammenlebt, in deren Bude nicht mal geraucht werden darf. Kyle kennt nur noch einen Gedanken: Rache an Red Mahoney und wieder schwere Dinger drehen. Zwischendurch geht er der nymphomanen Nola an die Wäsche (oder umgekehrt), die auf harte Jungs steht.

Doch die kriminellen Aktivitäten Kyles enden in einem ziemlichen Desaster. Die Entführung eines kleinen Jungen, der an der Bluterkrankheit leidet, schläft fehlt. Zeltserman gelingt das Kunststück, das man dem Widerling Kyle zwar Abscheu entgegenbringt. Doch dieses machohafte Großmaul ist so überzeichnet, dass man die 360 Seiten durchgehend mit großem Vergnügen liest. Der Humor kommt nämlich nicht zu kurz. Deutsche und skandinavische Betroffenheits-Kriminalautoren: Schneidet Euch hier mal ein Stück ab!

Das Buch ist auch deshalb so gelungen, weil es auf einer zweiten Ebene als veritable Mediensatire durchgeht. Ein großer New Yorker Publikumsverlag will nämlich mit den Erlebnissen des kriminellen Kyle richtig Kohle machen – ohne Rücksicht auf Verluste, auf die Moral, auf die Familie des Entführungsopfers.

Am Ende machen die Blogs den „Schriftsteller“ Kyle zur Witzfigur, weil er sich bei einem wahren Meister des Noir wie Hammett etwas zu ausgiebig bedient hat. Google schlägt zurück. Der harte Gangster erleidet das Schicksal deutscher Minister (Achtung: Plagiat!) und kommt zu Fall.

Die Moral von der Geschicht’: Abschreiben ist schlimmer als Mord, zumindest in der Welt der Blockwart-Blogger, die die auf ihre meist anonyme Jagd nach abgeschriebenen Textpassagen gehen.

Dave Zeltserman: Paria. Pulp Master Band 34: Berlin 2013: 369 Seiten. 13,80 Euro: ISBN 9 783927 734470.

Kopfstoß als Kunstform – Lennox mischt wieder die Unterwelt von Glasgow auf

April 4, 2012

Der schottische Krimiautor Craig Russell http://www.craigrussell.com ist bekannt aufgrund seiner Jan-Fabel-Reihe. Vor sieben Jahren veröffentlichte der gelernte Werbetexter seinen ersten Thriller „Blutadler“, in dem er den Protagonisten der Serie, den Hamburger Krimanalhauptkommissar Jan Fabel einführte. Im Oktober 2010 strahlte die ARD den Krimi „Wolfsfährte“ (Hauptrolle Peter Lohmeyer) nach dem zweiten Teil der Serie aus.
Nach Abschluss der Fabel-Reihe stürzte sich Russell in die Unterwelt Glasgows in den 1950er Jahren. Der kanadische Privatdetektiv Lennox ist ein harter Mann in einer harten Stadt in einer harten Zeit. Schon der erste Lennox-Band bestach durch Spannung, Humor, interessante Charaktere und viel Atmosphäre. Keine Frage, Philip Marlowe, Lew Archer und Sam Spade haben bei Lennox Pate gestanden. Es gibt zwar einige Gewaltszenen, doch auf peinliche Sexszenen verzichtet der Autor dankbarer Weise.
Jetzt ist endlich der zweite Teil mit dem Titel „Lennox’ Rückkehr“ http://www.luebbe.de/Buecher/Spannung/Details/Id/978-3-404-16627-5 auf Deutsch erschienen. Schon der erste Satz des Romans gibt den Sound vor: „Manche Dinge sind dem Glasgower fremd. Salat. Zahnpflege. Versöhnlichkeit“. Dafür hat die Stadt andere schöne Dinge zu bieten: „Athen war die Wiege der Demokratie, Florenz hat der Welt die Renaissance geschenkt, und Glasgow hat den Kopfstoß zu einer Kunstform entwickelt.“
In seinem neuen Fall hat Lennox es eigentlich gleich mit mehreren Fällen zu tun. Wenn Lennox mal gerade nicht lukrative Scheidungsangelegenheiten auf etwas unsaubere Weise detektivisch manipuliert, handelt er im Auftrag der „Drei Könige“. Das sind nicht die heiligen Drei Könige, sondern die fiktiven Gangsterbosse Glasgows in den düsteren 1950er Jahren. Small Change MacFarlane, Glasgows erfolgreichster Buchmacher und Vater von Lennox’ aktueller Geliebter, wird ermordet. Man will Lennox nun den Mord anhängen, worauf dieser mit seinen Ermittlungen beginnt. Es kommt zu zahlreichen Verwicklungen mit schönen Hauswirtinnen und noch schöneren Auftraggeberinnen, mit korrupten Bullen und ehrlichen amerikanischen Agenten, in regelmäßigem Abstand lässt sich Lennox vermöbeln und vermöbelt mindestens ebenso häufig andere, die Zigaretten qualmen, der Fusel rinnt die Kehle runter, das Essen schwimmt im Fett, die Fäuste fliegen. Zudem geht es um illegale Boxkämpfe, die Rache einer dem fahrenden Volk zugehörenden Sippe und verschiedene andere Dinge.
Manchmal verliert man beim Lesen ein bisschen den Faden, doch wie in den Romanen Raymond Chandlers kommt es nicht in erster Linie darauf ein, ein kriminalistisches Rätsel zu lösen. Dazu gibt es Agatha Christie. Wichtiger ist der Genuss der saloppen Sprache und die Schilderung der Geschichte von Lennox, der durchaus ein gebrochener Held ist. Da er wie der zur damaligen Zeit populäre Leinwandheld Jack Palance aussieht, hat er durchaus Schlag bei den Frauen. Doch Lennox weiß selber, das ihn die Teilnahme am Zweiten Weltkrieg zu einem recht rohen Gesellen gemacht hat, dem der Einsatz seiner Fäuste und Füße bei der Malträtierung seiner meist schuldigen Opfer ordentlich viel Spaß macht.
Spaß macht auch das Lesen. Auch wenn die Handlung längst vergessen ist, hat man den düsteren Helden in seiner nur selten sonnigen und in der Regel regnerischen Stadt vor Augen. Am Ende des Romans wird es für einen Satz romantisch. Lennox fasst sich ein Herz und klopft an die Tür der Kriegerwitwe Fiona White, seiner Vermieterin. Im hoffentlich nächsten Fall hätten wir nichts gegen eine kleine Romanze mit der schönen, aber sehr distanzierten Dame einzuwenden – wohl wissend, dass Lennox den Versuchungen, die am Rande seiner Fälle auf ihn lauern, auf Dauer sowieso nicht widerstehen kann.
Craig Russell: Lennox’ Rückkehr. Bastei Lübbe GmbH und Co. KG, Köln 2012. 397 Seiten, 8,99 Euro. ISBN 978 – 3 – 404 – 16627 – 5.

Meilenstein der Thrillerliteratur – Trevanians „Shibumi“ von 1979

März 15, 2012

Dieser Thriller sprengt die Grenzen des Genres.

Nach der Lektüre dieses Romans wird man zu einem anderen Leser, zumindest von Thrillern. Denn mit dem grandiosen Werk „Shibumi“ hat der Autor Trevanian die Grenzen des Genres gesprengt. Spannungsmeister wie Robert Ludlum, Frederick Forsyth und andere erscheinen plötzlich in einem neuen Licht. Sie wirken ein wenig wie Zwerge neben dem New Yorker Dr. Rodney William Whitaker, einem Professor für Filmkunst, der unter dem Pseudonym Trevanian Bestseller schrieb. Lange Zeit vermutete man, dass „Shibumi“ aus der Feder von Ian Fleming, Henry Kissinger, Robert Ludlum oder Tom Wolfe stammen könne. Dies lag zum einen am Erfolg des Autors, zum anderen aber auch an der Vielfalt seiner Stoffe und Themen.

Der Berufskiller Nicolai Hel ist die faszinierende Hauptfigur des Romans. Er hat seine „Karriere“ eigentlich abgeschlossen und lebt zurückgezogen in einem Schloss in den Pyrenäen. Überraschend tritt die junge Jüdin Hannah in sein Leben. Sie befindet sich auf der Flucht vor einer übermächtigen Geheimbehörde und ist einem Anschlag, bei dem mehrere ihrer Terroristenfreunde starben, nur knapp entronnen. Hannah ist schön und naiv. Hel kann nicht anders und muss sich ihrer annehmen, wobei er seine mittlerweile auch finanziell gesicherte Existenz mit einer äußerst attraktiven Kurtisane, mit der er tantrischen Sex praktiziert (denn er verabscheut Dilettantismus in jeder Form), aufs Spiel setzt.

Wer jetzt ein klassisches Thrillerdrehbuch mit viel Action, zahlreichen Wendungen, ein wenig Sex und viel Knallerei erwartet, der wird enttäuscht sein. Denn Trevanian hat einen sehr langen Erzählatem. Da er ein Meister der Sprache und der Ironie ist, wird es einem aber nie langweilig. Gerne taucht man ein in die frühen Jahre Nicolais in Shanghai und Japan. Hel ist der Sohn einer männermordenden russischen Adligen, der nicht nur das japanische Go-Spiel, verschiedene Sprachen und Kampftechniken beherrscht, sondern auch zu einem berühmten Höhlenforscher , Profikiller und passionierten Gärtner wird.

An den politischen Aussagen des Romans wird sich mancher stören. Den Amerikanern wird generell eine Kaufsmannsmentalität unterstellt, während Trevanian das japanische Volk und japanische Geschichte und Politik sehr idealisiert darstellt. Angesichts der Politik der Umerziehung und des Demokratisierungswahns der Neocons in den USA werden aber sicher nicht wenige Hels Kritik des „Amerikanismus“ zustimmen: „eine gesellschaftliche Krankheit der postindustriellen Welt, die unweigerlich eine merkantile Nation nach der anderen anstecken muss“. Während die Asiaten – insbesondere die Japaner – hoch im Kurs stehen, hält Trevanian Russen und Amerikaner für zwei etwas unterschiedliche Varianten ein und derselben Sache, nämlich „der Tyrannei der Mittelmäßigkeit“.

Von dieser Mittelmäßigkeit ist „Shibumi“ weit entfernt. Damit löst der Roman das ein, was im Japanischen mit „shibumi“ gemeint ist. Denn hierunter versteht man größte Verfeinerung, die unter einer alltäglichen Erscheinung verborgen bleibt: „Shibumi ist eher Verstehen als Wissen. Sprechendes Schweigen. Im menschlichen Verhalten ist es Sittsamkeit ohne Prüderie. In der Kunst, in der das Wesen des shibumi die Form des sabi annimmt, ist es elegante Schlichtheit, ausdrucksvolle Kürze. In der Philosophie, in der shibumi als wabi erscheint, ist es geistige Gelassenheit, die nicht passiv ist, ist es Sein ohne die Angst des Werdens“. Wer sich auf Nicolais lebenslange Suche nach dieser Geisteshaltung und Lebensform einlässt, der wird reich beschenkt.

Trevanian: Shibumi. Wilhelm Heyne Verlag: München 2011. 576 Seiten. 9,99 Euro. ISBN: 978 – 3 – 453 – 40809 – 8.