Mord und Totschlag faszinieren die Leser. Es ist schwer, aus dem riesigen Angebot an neuen Krimis und Thrillern einen Band herauszufischen, der Qualität hat, unterhält und spannend ist. „Im Auftrag des Drachens“ aus der Feder des geheimnisumwitterten Trevanian ist eine absolute Leseempfehlung. Das Buch erschien zuerst 1972 unter dem Titel „The Eiger Sanction“. Nun liegt die vollständige deutsche Erstausgabe bei Heyne vor.
Jonathan Hemlock ist der amoralische Held des Romans; ein anerkannter Kunsthistoriker, der in einer alten Kirche lebt und gegen Geld als Mitarbeiter einer Spezialabteilung des amerikanischen Geheimdienstes Agenten der Gegenseite tötet. Hemlock befindet sich in keinem Rache- oder Blutrausch. Er mordet kalt und mit nur einem Ziel – die eigene Gemäldesammlung muss finanziert werden.
Hemlock kämpft für keine politische Weltanschauung oder ein System. Er ist schlicht ein Mörder. Eine Trennung in Gut und Böse nimmt er nicht vor. „Er interessierte sich nur für die Kunst, und Dinge wie Politik, studentische Freiheit, der Feldzug gegen die Armut, die hoffnungslose Lage der Entwicklungsländer, der Krieg in Vietnam und die Ökologie waren ihm vollkommen gleichgültig, ja, sie langweilten ihn geradezu.“
Der smarte Protagonist, neben seiner eigentlichen Profession auch noch ein begnadeter Bergsteiger ist, hat überdies einen Frauenverschleiß, der James Bond wie einen Betbruder aussehen lässt. Doch er braucht den Sex nur, um sich wieder auf die wichtigen Dinge des Lebens – also vor allem seine Gemäldesammlung – zu konzentrieren. Der Beischlaf mit seinen schönen Gespielinnen verschafft ihm vorübergehende Erleichterung: „wie ein Gang auf die Toilette“.
Trevanian hat mit diesem Werk einen glänzenden Spionageroman geschrieben, der zugleich eine intelligente Parodie des Genres darstellt. Hin und wieder blitzt die konservative Kulturkritik des Autors auf, etwa wenn er die Bauweise moderner Kirchen karikiert: „Die meisten Gemeinde auf Long Island gaben ihre traditionellen Kirchen zugunsten von Holzbaracken in Fertigbauweise auf, die für ihren Umgang mit Gott offenbar besser geeignet zu sein schienen.“
Hemlock muss wider Willen zu einem letzten Auftrag ausrücken, weil ihn der „gute“ amerikanische Geheimdienst erpresst. Er muss immer dann in Aktion treten, wenn ein Agent der eigenen Seite vom „Gegner“ liquidiert wurde. Dann tötet Hemlock im Auftrag des Drachen. Sein letzter Auftrag ist deshalb so schwierig, weil der Feindagent, der eliminiert werden soll, unbekannt ist. Er nimmt – so viel weiß man – an einer Besteigung der mörderischen Eiger-Nordwand teil, der sich Hemlock anschließt. In einer Extremsituation muss sich Hemlock den Themen Freundschaft und Verrat stellen und muss am Ende ein bitteres persönliches Fazit ziehen.
Auch als Autor ist Trevanian faszinierend. Jahrelang wurde über seine wahre Identität spekuliert. Erst spät kam heraus, dass sich unter dem Pseudonym der 2005 gestorbene Filmprofessor Dr. Rodney William Whitaker verbarg. Der Autor, der in verschiedenen Sujets neben dem Thriller brillierte, ging nicht auf Lesereise, beantwortete keine Fanpost und gab selten Interviews. Nicht nur von seiner Intelligenz und seinem Stil, auch von seiner Kunst der Zurückhaltung könnten sich zum Beispiel deutsche Möchtegern-Thrillerautoren wie Frank Schätzing eine Scheibe abschneiden.
Trevanian: Im Auftrag des Drachens. Wilhelm Heyne Verlag: München 2014. 400 Seiten. 9,99 Euro. ISBN 978-3-453-43770-8.