Archive for September 2015

Werkverträge: Anschlag auf das Recht auf unternehmerische Freiheit

September 29, 2015

Warum Werkverträge gute Arbeit und kein Lohndumping sind

Beschäftigte der Automobilindustrie haben jüngst in Leipzig gegen den Missbrauch von Werkverträgen in ihrer Branche demonstriert. An dem Aktionstag beteiligten sich laut Angaben der IG Metall deutschlandweit zehntausende Beschäftigte.

Michael Zondler, Geschäftsführer des Personalberatungsunternehmens centomo http://www.centomo.de , das selbst stark in der Automobilbranche und bei Zulieferern engagiert ist, hält es für überzogen, wenn Gewerkschaften nun generell mobil gegen Werkverträge machen. „Es ist das gute Recht der Arbeitnehmer, auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren. Aber ich denke, dass ein Blick auf die Fakten und ein wenig Aufklärung über den tatsächlichen Charakter von Werkverträgen die Sorgen der meisten Beschäftigten zumindest mindern würde. Natürlich muss der Gesetzgeber gegen Scheinselbstständigkeit vorgehen. Das tut er ja auch schon. Dass aber zurzeit ein Klima erzeugt wird, indem Werkverträge unter Generalverdacht gestellt werden, halte ich für sehr problematisch. Denn Scheinselbstständigkeit gilt in Deutschland rechtlich als Schwarzarbeit. Dies trifft auf die allermeisten Werkverträge aber sicher nicht zu“, so Zondler.

Der Personalexperte aus Baden-Württemberg sieht die derzeitige unklare Rechtssituation mit sehr gemischten Gefühlen: „Unternehmen greifen auf externe Spezialisten wie Ingenieure, Controller und IT-Fachleute in der Regel zurück, um sie für zeitlich befristete Aufträge und Projekte einzusetzen. Von dieser Regelung profitieren sowohl die Unternehmen als auch die externen Experten. Durch die öffentliche Debatte über die Scheinselbständigkeit und einschlägige Urteile entsteht aber nun ein falscher Eindruck. Wir reden in Deutschland leider oft einseitig negativ über Zeitarbeit und Dienstverträge. Dabei ist Zeitarbeit oft ein gutes Mittel, um auch geringer Qualifizierte oder Menschen, die länger ohne festen Job waren, wieder in eine geregelte Beschäftigung zu bekommen. Und auch der Dienstvertrag ist dazu geeignet, hoch qualifizierte freiberufliche Spezialisten in Deutschland adäquat einzusetzen. Natürlich gibt es immer schwarze Schafe, aber die pauschale Geringschätzung oder gar Kriminalisierung dieser Beschäftigungsformen ist kontraproduktiv.“

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) http://www.insm.de wirbt derweil mit einer Imagebroschüre für eine sachliche Diskussion. „Werkverträge sind gute Arbeit!“ lautet das Motto der Kampagne. Und sie lässt Fakten sprechen: So liegt der Durchschnittsverdienst eines Angestellten bei 2.533 Euro im Monat. Ein selbstständiger Werkvertragsnehmer kommt auf 3.501 Euro im gleichen Zeitraum. Mit 1,9 Prozent seien selbstständige Werkvertragsnehmer ein kleiner, aber wichtiger Teil des Arbeitsmarktes. „Die relativ geringe Zahl derjenigen, die als Werkunternehmer tätig sind, zeigt auch, dass hier nun wirklich kein neues Feld für Bürokraten und Durchregulierer ist. In vielen hochspezialisierten Branchen ist das Outsourcing von Dienstleistungen unabdingbar. Wer das nicht begreift, betreibt Sozialromantik und will den Menschen die Freiheit nehmen, die aus voller Überzeugung als Werkunternehmer tätig sind“, sagt der centomo-Chef.

Selbstständige mit Werkverträgen haben überdies auch von allen Erwerbsgruppen das niedrigste Armutsrisiko. Bernhard Steinkühler, Fachanwalt für Arbeitsrecht, kann die Einmischung der Gewerkschaften nicht ganz nachvollziehen. Würden Werkverträge durch weitere Gesetze reguliert, dann sei das grundgesetzlich geschützte Recht auf unternehmerische Freiheit in Gefahr.

Biographisches und Autobiographisches

September 22, 2015

Biographien und Autobiographien üben eine starke Anziehungskraft auf manche Leser aus. Eine schmale Biographie der britischen Premierministerin Margaret Thatcher möchte man am liebsten auf den Nachttisch unserer derzeit real existierenden politischen Klasse legen.
Detlev Mares: Margaret Thatcher. Die Dramatisierung des Politischen. Reihe Persönlichkeit und Geschichte, Band 171. Muster-Schmidt Verlag: Gleichen – Zürich 2014. 118 Seiten, 14 Euro.
Mit Peter Gauweiler hat ein echter Überzeugungstäter seinen (vorläufigen?) politischen Rückzug angetreten. Politiker mit Ecken und Kanten sowie einem unverwechselbaren programmatischen Profil sind selten geworden. Dies gilt zumindest für unsere Breiten. In Deutschland ist seit einigen Jahren Konsens King, auch wenn man dies bedauern mag.
Schon im Untertitel seiner überzeugenden Thatcher-Biographie deutet der Darmstädter Historiker Detlev Mares an, daß die „Eiserne Lady“ kein Faible fürs Wohltemperierte hatte: „Die Dramatisierung des Politischen“. Mares erliegt weder der Versuchung, Leben und Werk der britischen Premierministerin als „Heldenepos“ noch als „Schurkenstück“ zu zeichnen. Auf knapp 100 Seiten schildert der Autor abgewogen und fair die Vorzüge wie die Nachteile von Thatchers Persönlichkeit.
Wenn Programm und Persönlichkeit eins sind – Markt, Moral und Monetarismus als Fixsterne im politischen Universum der Margaret Thatcher
Thatcher war eine Überzeugungspolitikerin. Programm und Persönlichkeit waren bei ihr – fast immer – eins. Sie ließ niemanden kalt. Noch anläßlich ihres Todes im Jahr 2013 fielen die Reaktionen zwiespältig aus: Bewunderung auf der einen, teilweise unmäßiger Haß bis ins Grab hinein auf der anderen Seite.
Thatcher kommt aus eher bescheidenen Verhältnissen. Die Abstammung aus einem Krämerladen erfüllte sie mit Stolz und sollte sie prägen. Die Werte des dominanten Vaters wie Pflichterfüllung, Sparsamkeit und Geschäftstüchtigkeit sollten seine Tochter prägen.
Schon als Oppositionspolitikerin fiel die studierte Chemikerin durch scharfe Attacken auf. In gesellschaftlichen Fragen engagierte sie sich als Vertreterin des rechten Parteiflügels der Tories für Ehe und Familie, gegen Steuererhöhungen, für wirtschaftsliberale Positionen und die Todesstrafe.
Als Parteivorsitzende und Oppositionsführerin im Unterhaus wollte Thatcher das Land ab 1975 einer Rosskur unterziehen, ausgerichtet an den Fixsternen „Markt, Moral und Monetarismus“, laut Mares das „nationale Regenerationsprogramm der Oppositionsführerin“. Thatcher hatte allen Grund für diesen Kampf, denn seit den 1960er Jahren befand sich das Land im wirtschaftlichen Niedergang und schließlich auch im Würgegriff der Gewerkschaften. Die vermeintlichen Segnungen sozialdemokratischer Politik (Verschuldung, Arbeitslosigkeit, steigende Steuern und Inflation) beutelten Britannien.
Sozialdemokratische „Segnungen“ beutelten Britannien
Thatcher, die keine Intellektuelle war, sich aber durchaus an intellektuellen Debatten erfreuen konnte (waren das noch Zeiten…), bediente sich aus dem Fundus verschiedener Denkfabriken. Dabei vertrat die Politikerin keinen „Hyper-Individualismus“, denn das Individuum sollte in seiner Entfaltung durch klassische familiäre und nationale Bande gezügelt werden. Mares verschweigt nicht, daß die Spätfolgen der Politik der „Eisernen Lady“ letztlich auch zur Verherrlichung von Profigier und Konsumansprüchen führte.
Mit dem klugen Wahlspruch „Labour isn’t working“ (Labour funktioniert nicht) kam sie schließlich an die Macht und krempelte das Land nach ihren Vorstellungen um. Sie brach das Rückgrat der Gewerkschaften. Der produzierende Sektor schrumpfte. Das Land wurde abhängiger von Dienstleistungen. Ein Grund, warum Deutschland besser durch die Krise gekommen ist als das einseitig deindustrialisierte Großbritannien.
Die unangenehmen Seiten ihres Charakters wurden unter anderem in ihrem wenig kollegialen Regierungsstil deutlich. Im Verlauf ihrer Amtszeit verließen insgesamt 36 Minister das Kabinett. Im Gegensatz zu weinerlichen Frauenpolitikerinnen à la Manuela Schwesig setzte sich Thatcher auch bei „harten“ politischen Themen wie Wirtschaft und Verteidigung durch, ohne ihre weibliche Seite dabei zu verleugnen. Man liest mit einem gewissen Schmunzeln, daßßs die Dame mit der ondulierten Turmfrisur auf einige Männer in ihrem politischen Umfeld „geradezu erotisierend wirkte“.
Thatcher war eine professionelle Medienpolitikerin, die in Debatten schlagfertig kontern konnte und akribisch an ihren Parteitagsreden feilte. Gegen Ende ihrer Regierungszeit wurde sie immer störrischer. Ihre Haltung zur deutschen Einheit kann nur als katastrophal bezeichnet werden, gerade auch deshalb, weil sie rein reaktiv war: Thatcher hatte Angst vor einem wiedervereinigten Deutschland, das bald zur Zentralmacht der Kontinents avancieren sollte. Auch ihre Haltung zum chilenischen Diktator Pinochet war nicht von moralischer und politischer Weitsicht geprägt.
Man kann sich keine Politiker backen. Jede Zeit bringt auch die politischen Charaktere hervor, die offenbar bei den Wählern und den Politikern punkten können. Während Thatcher das Land umgestaltete, war ihr das Schicksal der einzelnen Bürger herzlich egal. Diese demonstrative Kühle ist nicht erstrebenswert. An die klare Kante und das Zusammenpassen von Persönlichkeit und Politik denkt man angesichts der derzeitigen weichgespülten Lenor-Politik allerdings mit Wehmut zurück.
Eine ebenfalls beeindruckende Persönlichkeit ganz anderen Zuschnitts ist der deutsche Publizist und Buchautor Wolf Schneider.
Wolf Schneider: Hottentottenstottertrottel. Mein langes, wunderliches Leben. Rowohlt Verlag: Reinbek bei Hamburg 2015, 448 Seiten, 19.95 Euro.
Auch mit 90 Jahren hat Schneider die Entbehrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit nicht vergessen: „Wenn ich in ein heißes Vollbad sinke oder mir die Butter dick aufstreiche, habe ich ein lebendiges Gefühl von Luxus, von Rache für erlittene Not – seit fast siebzig Jahren.“

Der atheistische Papst

Schneiders Erinnerungen haben vor allem einen Zweck: Sie singen ein lautes Loblied auf den großen „Sprachpapst“ und Journalistenausbilder, wobei Schneider, der sich selbst als Atheisten bezeichnet, wenig von diesem Ehrentitel hält.
Als er bei der „Neuen Zeitung“ kündigte, erhielt er ein „Zeugnis mit einem Lob, das deutlich über das hinausging, was das deutsche Arbeitsrecht heute verlangt“. Der Autor bekennt sich zu seiner Selbstsicherheit und Arroganz. Er hält sie für keinen Makel. Doch ist jemand wirklich so stabil, wenn er so viel Wert auf Anerkennung und (Selbst-)Lob legt?
Unzweifelhaft ist der in Erfurt geborene Sprachkritiker ein Leistungsfanatiker. Er hat für die großen oder ehemals großen Blätter („Süddeutsche Zeitung“, „Stern“, „Die Welt“) als Angestellter zur Feder gegriffen. Bis zu siebenmal im Monat durfte der herausragende Stilist in den Jahren 1960 bis 1964 das „Streiflicht“ für die „Süddeutsche Zeitung“ verfassen. 35 Stunden in der Woche verbrachte er in der Münchener Redaktion, 45 Stunden arbeitete er an seinen jeweiligen Büchern.
Am 5. Februar 1966 versuchte sich der kühle Pragmatiker in seinem Leitartikel „Tod dem Verbrennungsmotor“ als Hellseher:
„Die Zukunft kann nur dem Elektro-Auto gehören! Für die erste deutsche Firma, die ein gutes und ansprechendes Elektromobil auf den Markt bringe, sollte der Bundestag eine Prämie aussetzen. Schluß. ‚Der Verbrennungsmotor ist vermeidbar. Nach der Vernunft wie nach unseren technischen Möglichkeiten gebührt ihm der Tod.‘“ Manche Totgesagte leben eben länger!
Schneider, der sich auf knapp 440 Seiten vor allem für Schneider interessiert, gelingen einige interessante Porträts. Den mächtigen „Stern“-Mogul Henri Nannen beschreibt er wie folgt. „Ja: Nannen war ein zu großer Mann, um auch noch ein angenehmer Mensch zu sein.“
Tapfer und politisch unkorrekt kämpfte der rechtsliberale Schneider gegen die linken Meinungsführer in der Redaktion der Hamburger Illustrierten. Schon vor Jahrzehnten setzten sich Erich Kuby und der zwischenzeitlich übergeschnappte Sebastian Haffner nach Angaben des Autors dafür ein, daß das Geschlecht eine bloße soziale Zuschreibung sei und die beiden Geschlechter absolut austauschbar seien. Schneider konterte trocken: „Meinen Sie nicht, dass, wenn zwei Menschen ein Kind haben wollen, es alles in allem kein Nachteil wäre, wenn eine von ihnen eine Frau ist.“ Ein cooler Konter gegen das Gender-Gaga.
Der Neunzigjährige hat allen Grund, zufrieden Bilanz zu ziehen. Sein Leben scheint ihm, anders als das seiner Eltern und Geschwister (sein Bruder verübte als Jugendlicher Selbstmord), geglückt zu sein. Er ist stolz auf seine Artikel, seine Sachbücher über die deutsche Sprache, Sieger und Verlierer der Weltgeschichte, den Soldaten etc. 16 Jahre leitete er die Hamburger Journalistenschule und war keinen Tag krank. Nur der Tod galt ihm als akzeptable Entschuldigung für das Fernbleiben seiner Schüler. Möge dieser den immer noch produktiven Schneider, der so gar nichts Greisenhaftes hat, noch ein paar Jahre verschonen.
Fritz J. Raddatz: Jahre mit Ledig. Eine Erinnerung. Rowohlt Verlag: Reinbek bei Hamburg 2015, 159 Seiten, 16,95 Euro.
Der Dritte im Bunde, der Literaturredakteur Fritz J. Raddatz, ist noch einmal von ganz anderem Zuschnitt als Thatcher und Schneider.
Fritz J. Raddatz – vor einiger Zeit freiwillig aus dem Leben geschieden – hat ein schönes und zartes Abschiedsgeschenk hinterlassen. Des Autors letztes, schmales Buch ist seiner Zeit als stellvertretender Leiter des Rowohlt Verlages (1960-1969) gewidmet. Es ist aber vor allem eine literarische Liebeserklärung an den „sensiblen Elefanten“ Heinrich Maria Ledig-Rowohlt (1908-1992).
Raddatz beschreibt die Jahre mit Ledig als „das phantastischste, phantasievollste Chaos meines Lebens“. Mit dem unkonventionellen Verleger verband ihn „eine fremdschöne, unheimlich-rätselvolle Liebesbeziehung, lasterlos, aber voller Hingabe an die Literatur“.
Eine literarische Liebeserklärung, lasterlos
Ledig erscheint hier nicht nur als trinkfester Exzentriker, der sich genauso für Linseneintopf aus der Dose wie für regelmäßige Bordellbesuche erwärmen konnte, sondern auch als ein harter Arbeiter mit einem ernsthaften Interesse an seinen Autoren. Nun ja, es gab auch hier Einschränkungen. Heinrich Böll wollte er nicht im Verlag haben, und Walter Jens wurde mit den Worten „Schaffen Sie mir diesen spießigen Besserwisser vom Hals“ aus dem Rowohlt-Verlag geworfen. Wer wollte dies Ledig verdenken!
Obwohl Raddatz und sein Verlegerchef über mehrere Jahre bis zum Bruch 1969 eng verbunden waren, blieben beide beim „Sie“. Der „sensible Elefant“ ließ letztlich niemanden so ganz an sich heran.
Raddatz erzählt die „Geschichte zweier Männer, die einmal fast einer gewesen waren, unauflöslich einander verbunden, in gegenseitiger Verletzung und in peinigendem Schmerz sich trennend, und die nie die Liebe vergessen konnten, die sie einst innig werden ließ“.
Man legt dieses sensibel geschriebene Doppelporträt und literarische Vermächtnis Raddatz‘ dankbar aus der Hand.
In der Tat: Es ist sehr unterhaltsam, mittels Biographien und Autobiographien für ein paar Stunden in das Leben anderer Menschen einzutauchen.

Dieser Artikel erschien zuerst unter dem Titel „Biographisches“ in der Zeitschrift „Die Neue Ordnung“, Heft 4, August 2015, herausgegeben vom Institut für Gesellschaftswissenschaften Walberberg.